Vergiss Meyn nicht – Kuba Jülich

Vergiss Meyn nicht –

Nur Dein Leben steht dagegen

Mi. 31.5.23 | Einlass: 19:30 Uhr | Beginn: 20:00 Uhr
Kuba Jülich
Bahnhofstr. 13
52428 Jülich
Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 100 min
Premiere Berlinale 2023
Regie Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl, Jens Mühlhoff
Im Anschluss Filmgespräch mit dem Regie-Trio
Moderation: Michael Chauvistré
Eintritt: 6,50 € / ermäßigt 6,00 €

Die italienisch-schweizerische Filmemacherin Fabiana Fragale wurde 1994 in Zürich geboren. Seit 2015 ist sie wohnhaft in Köln und Studentin an der Kunsthochschule für Medien Köln. Ihre dokumentarischen und fiktionalen Arbeiten beschäftigen sich überwiegend mit antikapitalistischen und intersektional- feministischen Themen. 2018 gründete sie das Kunstkollektiv Polsprung.

Kilian Kuhlendahl hat 2017 an der KHM abgeschlossen und arbeitet seither in verschiedenen erzählenden Formaten wie Film, Hörbuch und Graphic Novel als Regisseur*in und Autor*in. Als Mitglied des Kollektivs Polsprung erschafft Kilian multiperspektivische Rauminstallationen und Performances.

Jens Mühlhoff, geboren 1991 in Wuppertal, studierte von 2011-2018 an der Kunsthochschule für Medien Köln. Seine Werke als Künstler untersuchen und bearbeiten häufig Orte des öffentlichen und halböffentlichen Raumes und beschäftigen sich so mit der alltäglichen Realisierung von Politik. Seit mehreren Jahren arbeitet er als Regisseur und Autor bei verschiedenen Filmproduktionen und als künstlerische Leitung für freie Kunstprojekte.

Der Tod von Steffen Meyn im Hambacher Forst ging im Herbst 2018 durch alle Medien. Zuvor versuchte das Land NRW den von Aktivistinnen und Aktivisten besetzten Wald zu räumen – mit einem Polizeieinsatz, den Gerichte später für illegal erklären. Dabei kam es zu einem tragischen Unglück. Der Filmstudent Steffen Meyn, der die Räumung von einem der Baumhäuser aus filmisch dokumentierte, stürzte in die Tiefe und verstarb noch vor Ort.

Vergiss Meyn nicht besteht zu großen Teilen aus dem Material, das Steffen über zwei Jahre hinweg im Hambacher Wald gedreht hat. Mithilfe seiner 360° Kamera begleiten wir ihn durch die Baumhäuser und sind hautnah bei den Räumungsversuchen der Polizei dabei. Durch Steffens offene Art lernen wir Aktivistinnen und Aktivisten kennen, die bereit sind ihren Körper der Abrodung entgegenzustellen. Dabei wird deutlich: Steffen ist fasziniert und begeistert von dem utopischen Miteinander, ringt aber auch um eine Haltung zu den radikalen Maßnahmen der Besetzung.

Durch das außergewöhnliche Filmmaterial und Interviews, die Steffen über die letzten zwei Jahre seines Lebens begleitet haben, schafft der Dokumentarfilm nie gesehene Einblicke in die aktivistische Gemeinschaft – und traut sich gleichzeitig, Widersprüche, Zweifel und Fragen zuzulassen: Warum gehen die Aktivistinnen und Aktivisten so weit? Wieso gefährden Menschen ihren Körper und ihr Leben für politische Zwecke? Und wo trifft Utopie auf schmerzhafte Realität?

Alle Bilder Copyright W-FILM

Regiestatement Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl, Jens Mühlhoff

Wir drei waren gute Freund*innen von Steffen. Seinen Tod am 19.09.2018 haben wir auf unterschiedliche Weise miterlebt. Jens war zuhause und hat über Twitter die Nachricht erhalten, dass ein Journalist gestürzt sei. Fabiana saß im Zug zum Hambacher Forst, als sie einen Anruf von Jens erhielt. Dort angekommen, erfuhr sie über eine Pressekonferenz der Polizei, dass der verunfallte Journalist verstorben sei. Kilian stand direkt unter den Bäumen, als Steffen stürzte – mit neuen Speicherkarten für Steffens Kameras.

Was uns in unserem Empfinden eint, ist das Gefühl, dass uns unser Freund entzogen wurde. Keiner von uns kam mehr zu ihm, bevor die Polizei sich aufgereiht und einen Sichtschutz um seinen sterbenden Körper gebaut hat. Es war ein Tod in aller Öffentlichkeit. Und doch war Steffen so weit weg. Nach seinem Tod verspürten wir eine große Hilflosigkeit. Dabei war das Schlimmste, keine unmittelbar schuldige Instanz finden zu können. Niemand, dem wir hätten sagen können: Du hast mir meinen Freund entrissen. Niemand konnte zur Verantwortung gezogen werden. Also richteten wir unsere Wut auf unseren Freund selbst: Steffen, dem es in dem Moment wichtiger war, zu dokumentieren und das Geschehene aus dem Wald zu tragen, als sich selbst auf 16 Metern Höhe zu sichern.

Die Politik konnte den Unfall nicht einfach übergehen. Plötzlich sprach NRW-Landes- Innenminister Herbert Reul über Steffen, Ministerpräsident Armin Laschet rief bei seinen Eltern an. Sie benutzten Steffens Tod als Beispiel für die Gefahr, die von der Besetzung ausginge. Und ein Teil der Aktivist*innen benutzte wiederum Steffens Tod, um zu zeigen, wie das System über Leichen geht. Nur wir blieben stumm. Steffens Tod war so sinnlos: Denn nach dem Konflikt fielen sowohl die Politik als auch die Besetzung im Hambacher Wald in den Status Quo vor der Räumung zurück. Alles war genauso wie vorher. Nur Steffen fehlte.

Mit seinem plötzlichen Tod hinterließ Steffen ein unfertiges Werk. Zahlreiche Stunden Filmmaterial waren auf unterschiedlichen Festplatten gespeichert, auch sein eigener tödlicher Unfall. In der Auseinandersetzung mit diesem Material wissen wir heute: Steffens Tod war wirklich sinnlos, doch seine Entscheidungen, die dorthin führten, nicht. Er sah sich, ähnlich wie die Besetzer*innen, in der Zwangslage, sich nicht darauf verlassen zu können, dass die Politik nach demokratischen Prozessen arbeitet. Und so blieb ihm, genau wie den Aktivist*innen, kein anderes Mittel, als sich mit seinem Körper und seiner Kamera vor Ort zu engagieren.

Doch Steffens Begeisterung für die Besetzung und seine Radikalisierung waren auch stets durchzogen von moralischem Hader über die eingesetzten Methoden. Der Einsatz des eigenen Körpers als letztes Mittel traf ihn schließlich in seiner letzten Konsequenz.

So wurde der Einsatz des eigenen Lebens als politisches Instrument zur Leitfrage in den heutigen Interviews mit den Aktivist*innen, die Steffen damals schon begegnet sind: „Wie weit gehen wir,

Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Evangelischen Erwachsenenbildungswerk im Kirchenkreis Jülich

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